Dritter Gang rechts
Medikamente werden hier keine verkauft – trotzdem hat fast jede Patientin und jeder Patient der Universitätsmedizin Essen mit der krankenhauseigenen Apotheke zu tun.
Alles an seinem Platz: Jochen Schnurrer inmitten des durchorganisierten Großlagers
Fast das gesamte Erdgeschoss des dreistöckigen Apothekengebäudes ist voll mit Arzneimitteln, ein Regal neben dem anderen. Bis zu drei Meter hoch stapeln sich die Kartons in den engen Gängen. Wer das Lager zum ersten Mal betritt, erkennt kein System. Doch wer genau hinsieht, der bemerkt, dass hier das perfekte Zusammenspiel von Mensch, Maschine und digitaler Technik zu Hause ist. Unermüdlich laufen die grünen Transportbänder entlang der Regale. 16-mal Aspirin, 22-mal Vomex, dreimal Advantan-Creme – gezielt nehmen die Apothekenmitarbeiterinnen die Packungen aus den Regalen und legen sie auf die Transportbänder. Was welche Station angefordert hat, sagen ihnen spezielle Handscanner. Einige Meter weiter laufen die Bänder an einem Scanner zusammen. In Sekundenschnelle erkennt und sortiert das Lesegerät die Packungen und ordnet sie nach Stationen aufgeteilt in Boxen zu. Die wenigen vom Scanner nicht erkannten Verpackungen werden von einer Mitarbeiterin überprüft und händisch zugeordnet. Zufrieden schaut Dr. Jochen Schnurrer, Leiter der Apotheke, auf die reibungslosen und fehlerfreien Abläufe: „Wir haben das System so aufgestellt, dass die Kolleginnen ohne unnötige Laufwege die Bestellungen bearbeiten können.“ Denn Zeit ist kostbar. Schließlich werden alle Stationen des Universitätsklinikums, die Ruhrlandklinik, das St. Josef Krankenhaus Werden, das Herzzentrum Huttrop sowie das Westdeutsche Protonenzentrum von hier aus mit Medikamenten versorgt. Und auch das LVR-Klinikum Essen und der Rettungsdienst der Essener Feuerwehr sind an die Apotheke angeschlossen.
Einer von fünf: Der Zytostatika-Roboter, genannt Mathilde Dosenfänger, hilft bei der Medikamentenherstellung.
Rund 2.700 Arzneimittel sind ständig in der Apotheke vorrätig. Aktuell stehen zudem einige Tanks mit Rohstoffen für die Desinfektionsmittelherstellung im Lager. „Die haben wir während der ersten Corona-Welle eingekauft, um Desinfektionsmittel selbst herstellen zu können“, erklärt Schnurrer. Anders hätten sie den Bedarf der Stationen nicht abdecken können. Schnurrer: „Wir haben die Lieferengpässe deutlich gespürt und mussten entsprechend flexibel reagieren.“ Seit 2014 leitet Schnurrer die Krankenhaus-Apotheke, die zu den größten bundesweit zählt. Rund 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehören zum Team – vom Apotheker über Pharmazeutisch-technische Assistentinnen (PTA) bis zu Pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten (PKA) und Lager-, Spül- und Reinigungskräften. „Alle sind auf den Einsatz in einer Klinik-Apotheke spezialisiert“, erklärt Schnurrer. Das muss auch sein, denn die Einsatzbereiche unterscheiden sich zum Teil erheblich von der Arbeit in öffentlichen Apotheken.
Besuch bei Mathilde Dosenfänger
Wie eine Raumstation mutet die Zentrale Zytostatika-Zubereitung (ZZB) im dritten Stock an: Aus einer Art verglastem Cockpit schaut man in den aseptischen Herstellungsbereich. Nicht erst seit Corona sind in dem Reinraum Mund-Nasen-Schutz, doppelte Handschuhe und Schutzkleidung Pflicht. „Wir stellen hier Medikamente für Krebspatienten her und arbeiten dabei auch mit Risikostoffen“, erklärt PTA Claudia Broda, die seit 2018 in der ZZB arbeitet. Immer zu zweit sitzen die PTA an den Werkbänken und stellen die individuell für jeden Patienten verschriebenen Krebsmedikamente her. Eine füllt und misst ab, die andere reicht an und prüft – nach einigen Stunden wird gewechselt. Dieses Vier-Augen-Prinzip bei der Herstellung ist eine der zahlreichen Maßnahmen der Apotheke, um höchste Patientensicherheit zu gewährleisten. Zuvor wird jede Bestellung bereits bei Eingang geprüft; vor Ausgabe an die Station erfolgt zudem eine Endkontrolle der Mittel. Der gesamte Ablauf ist ein enger Abstimmungsprozess zwischen den verantwortlichen Apothekerinnen und den herstellenden PTA.
Der Aufwand, den das aseptische Arbeiten erfordert, stört Broda nicht. Im Gegenteil: „Ich mag das Arbeiten im Zweierteam und die Komplexität der Aufgabe. Außerdem sind wir alle erfahren und wissen, was im Ernstfall zu tun ist.“ Denn neben dem Tragen von Schutzkleidung gibt es weitere klare Regeln und Maßnahmen: Die Luft an den Sicherheitswerkbänken wird permanent abgesaugt, und tropft eine Substanz daneben, werden sofort die Matte unter dem Arbeitsplatz sowie die Handschuhe der PTA getauscht. Eine besonders zuverlässige Kollegin in der ZZB ist Mathilde Dosenfänger. So nennt das Team den Zytostatika-Roboter, der bei der Herstellung unterstützt. Schnurrer: „Bundesweit gibt es derzeit davon nur fünf in Krankenhaus-Apotheken – einer steht bei uns.“ Durch den Roboter wird die Arzneimittelherstellung noch sicherer – weil Risikosubstanzen der Maschine nichts ausmachen und weil menschliche Fehler ausgeschlossen sind.
Tiegel und Töpfe
Einige Meter weiter auf derselben Etage wird fleißig gerührt. „Unsere selbstgemachte Wundheilsalbe ist im gesamten Klinikum sehr gefragt“, sagt Sarah Tschinke. Die PTA arbeitet in der Rezeptur-Defektur der Apotheke, Salben rühren und Kapseln abfüllen steht bei ihr fast täglich auf dem Arbeitsplan. Tschinke: „Wir planen zu Wochenbeginn, was in den kommenden Tagen benötigt wird.“ Mal ist das besagte Wundsalbe auf Vorrat, oft aber auch patientenbezogene Medikamente, die zeitnah gebraucht werden. Dazu gehören zum Beispiel Arzneien für die kleinen Patienten der Kinderklinik: „Die meisten handelsüblichen Medikamente sind in der Stärke für Erwachsene dosiert – wir verdünnen die soweit, dass sie kindertauglich sind“, erklärt Tschinke. Und manchmal passiert auch gänzlich Unvorhergesehenes – wie Corona im Frühjahr. Mit einem Mal stand das dreiköpfige Rezeptur-Team vor der Aufgabe, Unmengen von Desinfektionsmitteln herzustellen. „Aber diese Flexibilität macht auch den Reiz aus“, sagt die PTA, die seit 2016 in der Apotheke arbeitet. „Wir haben ein breiteres Spektrum an Rezepturen und Defekturen als eine öffentliche Apotheke – so ist der Job immer spannend.“
Auf Station
Weniger praktisch orientiert, aber nicht weniger spannend, ist der Aufgabenbereich von Jutta Dedy. Die Pharmazeutin ist stellvertretende Leiterin der Apotheke sowie Mitglied des Antibiotika-Beratungsservices des Universitätsklinikums. Das Beratungsteam, bestehend aus Pharmazeuten, Mikrobiologen und Ärzten, nimmt den Einsatz von Antibiotika unter die Lupe. Dedy: „Unser Ziel ist, dass Antibiotika möglichst wenig, aber dafür effektiv eingesetzt werden.“ Im Fokus steht neben der Verträglichkeit auch die Vermeidung von Antibiotika-Resistenzen. „Mit der Gründung dieses Services 2005 gehörte die Universitätsmedizin zu den Vorreitern bei deutschen Kliniken“, weiß Dedy. Täglich ist sie im engen Austausch mit den Stationen und Ärzten und bespricht Dosierungen, Wechselwirkungen sowie individuelle Patientenfälle. Eine stets wichtige Frage: In welchem Umfang ist eine Antibiotika-Therapie notwendig? „Natürlich gehören auch Dokumentation und das Auswerten von Statistiken und Forschungsergebnissen zur Beratungsarbeit dazu – aber insgesamt ist das Thema sehr dynamisch und man lernt beim interdisziplinären Arbeiten ständig dazu.“
Dazulernen und wissbegierig sein sind grundsätzlich entscheidende Eigenschaften des gesamten Apothekenteams, wie Schnurrer betont: „Wir arbeiten hier auf Augenhöhe mit den Stationen und sind wichtige Ansprechpartner – da müssen wir kompetent und auf dem neuesten Stand der Forschung und digital gut aufgestellt sein!“ Wie aktuell bei der Einführung einer elektronischen Medikation: Alle Medikamente, die ein Patient nimmt, sollen darin erfasst werden, sodass der Arzt beim Verschreiben sofort sehen kann, ob irgendwo Wechselwirkungen oder Nebenwirkungen drohen. „Und bei der Suche nach alternativen Medikamenten ist unser Expertenwissen als Apotheker gefragt“, so Schnurrer.
Darüber hinaus will Schnurrer die Services für die Stationen noch verbessern. „Noch gibt es eine Reihe von Medikamenten, die durch die Pflegefachkräfte auf den Stationen auf Spritzen aufgezogen oder in ihrer Konzentration angepasst werden müssen. Hier wollen wir – um die Pflegefachkräfte zu entlasten – noch mehr ‚Ready to use‘-Lösungen anbieten“, erklärt der Pharmazeut. Und nicht zuletzt bereitet sich das Team auf eine weitere Corona-Welle vor. In den vergangenen Wochen wurde das Lager gut aufgefüllt, längst stehen Konzepte für Homeoffice und das Arbeiten in Schichten.
„Hinter den Kulissen sind wir für den Gesamtbetrieb des Universitätsklinikums ein wichtiger Baustein“, resümiert Schnurrer. „Auch wenn“, räumt Dedy ein, „wir leider keinen klassischen Service zum Einlösen von Rezepten für Patienten anbieten können. Dafür gibt es zum Glück die vielen kompetenten Kollegen in öffentlichen Apotheken.“